Die Nachtigall des Zaren
- officesapienta
- 25. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Wusstest du, dass für Frauen das Singen über Jahrhunderte verboten war?
Zumindest in der Kirche.
Und da in einer Zeit, wo man Menschen noch mit der Hölle drohen konnte, die Kirche die allumfassende Macht innehatte, war das im Grunde ein generelles Singverbot.
Der Ursprung liegt, wie so oft, bei einem missverstandenen Bibelzitat. Im ersten Korintherbrief schreibt Paulus:
"mulier taceat in ecclesia" – „Die Frau schweige in der Kirche.“
Die katholische Kirche nahm das wörtlich. Sehr wörtlich.
Für die Kirchenmusik war das Singverbot anfangs kein Problem. Die einstimmigen gregorianischen Gesänge wurden ohnehin ausschließlich von Mönchen gesungen. Doch mit dem Aufkommen der Mehrstimmigkeit im Mittelalter und der Renaissance stieg der Bedarf an höheren Stimmen.
Die Lösung: Knaben oder sogenannte Falsettisten – häufig aus Spanien, weshalb man sie bald Spagnoletti nannte.
Doch je mehr sich die Kirchenmusik entfaltete, desto größer wurde auch der Anspruch: Eine hohe Stimme allein genügte nicht mehr. Sie sollte klarer, kräftiger und tragfähiger sein. Und so kam jemand aus Italien mit einer Idee um die Ecke, welche die Kirche mit offenen Armen begrüßte:
Kastraten
Als 1601 ein gewisser Rosini, der erste Kastratensänger in der katholischen Kirche, in den päpstlichen Chor aufgenommen werden sollte, stieß das auf Widerstand. Die Spagnoletti wollten ihn nicht dabeihaben – nicht etwa, weil er kastriert war, sondern weil er kein Spanier war.
Hier findet sich gleichzeitig der Ursprung des bis heute gültigen Beamtenmottos:
„Ham wa noch nie so gemacht. Machn wa auch nich.“
Doch was der Papst will ist Gesetz. Und so verdrängten in den folgenden Jahren die Kastratensänger immer mehr die Spaghetti-Spanier aus den Kirchenchören und machten sich auf die großen Bühnen der Welt.
Aber wie wird man zum Kastraten?
Durch eine Operation im Kindesalter – meist zwischen dem siebten und zehnten Lebensjahr. Weil der Eingriff schon damals verboten war, wurde er meistens heimlich bei Quacksalbern durchgeführt - die gleichen, die auch Quecksilbertherapien oder Tabakrauch-Einläufe verordneten.
Dabei wurden den Jungen unter primitiven Bedingungen die Samenleiter durchtrennt, ein nicht nur folterähnlicher und schmerzhafter sondern auch lebensgefährlicher Eingriff. Wer ihn überlebte, hatte oft mit gravierenden körperlichen Folgen zu kämpfen. Ohne das männliche Sexualhormon Testosteron wuchsen die Körper unkontrolliert weiter, aber ohne die typischen Muskel- und Knochenstrukturen.
Die Resultate: hochgewachsene, oft unförmige Männer mit kindlicher Stimme.
Alles im Namen der Kunst.
Der Superstar unter den Kastraten

Einer der berühmtesten Kastraten Europas war Farinelli.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere wechselte er an den spanischen Hof, wo er dem depressiven König Philipp V. zur Seite gestellt wurde. Neun Jahre lang sang Farinelli jeden Abend dieselben vier Arien, um den Monarchen aufzuheitern.
Er wurde in dieser Anstellung aber auch einer der reichsten und mächtigsten Männer Spaniens.
Die Zeit änderte sich und so auch der Musikgeschmack. Der Klang der Kastratenstimmen galten immer mehr als unnatürlich. Der Tenor löste den Kastraten Ende des 18. Jahrhunderts in den Hauptrollen der Oper ab.
Nur die katholische Kirche hielt ungewöhnlich lange an der Liebe zu den kindlichen Stimmen fest. So sangen dort bis Anfang des 20. Jahrhundert Kastraten im päpstlichen Chor.
Auch heute noch zeigt sich in der liturgischen Musik des Vatikans ein faszinierender Eifer, das „männliche Klangideal“ um jeden Preis aufrechtzuerhalten, sei es durch Knaben oder Countertenöre. Des weiteren kam vor einigen Jahren der Chor vom Kings College auf eine bahnbrechende Idee, wie man den historischen Klang der Kastraten wieder zurückzuholen könne, wie in diesem Video gezeigt wird:
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